Çarşema Sor („Roter Mittwoch“) - Das
ezidische Neujahrsfest
Wann und wie wird das Fest
gefeiert?
Çarşema Sor fällt auf den ersten Mittwoch im April eines jeden Jahres nach julianischem Kalender. Der julianische Kalender geht
dem heute überwiegend gültigen gregorianischen Kalender um 13 Tage nach. Das diesjährige Çarşema Sor fällt auf den 19. April 2017.
Während der Feierlichkeiten werden besondere Speisen mit Fleisch zubereitet, die von einem Pir, einem ezidischen religiösen
Würdenträger, gesegnet werden. Es ist Brauch, dass die Eziden an diesem Tag ihrer Toten auf dem Friedhof gedenken. Die Häuser werden anlässlich des Neujahrsfestes geputzt, die Hauseingänge mit
Blumen geschmückt und die Fenster mit bunt bemalten Eiern versehen. Bänder mit den Farben rot, gelb, weiß und grün werden entweder als Armband oder als Zopfbinde getragen (basimbar).
Warum wird das Fest
gefeiert?
Çarşema Sor ist von Newroz, dem alt-iranischen Neujahrs- und Frühlingsfest, das am 21. März eines jeden Jahres von Eziden wie
auch von anderen religiösen Gruppen und Völkern im Nahen Osten und Zentralasien gefeiert wird, zu unterscheiden.
Nach der ezidischen Überlieferung ist die Schöpfung der Erde an einem Mittwoch vollendet worden. Der Legende nach sollen dabei
zum ersten Mal Sonnenstrahlen die Erde berührt und diese in ein rötliches Gewand gehüllt haben (daher auch die Namensbezeichnung „Roter Mittwoch“). Die Eziden glauben ferner daran, dass Tausi
Melek, der oberste ihrer sieben Engel, auf die Erde hinabgestiegen sei und von Gott den Auftrag erhalten habe, die Erde für alle Lebewesen bewohnbar zu machen. Nach ezidischer Mythologie kommt
Tausi Melek an jedem Çarşema Sor zur Erde, um Segen zu spenden und Glückseligkeit zu verbreiten. Er symbolisiert damit den Beginn des Jahres und des neuen Lebens. Mit den bunten Blumen an den
Hauseingängen soll Tausi Melek willkommen geheißen werden.
Der April, nach ezidischem Kalender der erste Monat des Jahres, hat für die Eziden eine besondere Bedeutung. Sie nennen ihn „bûka
salê“, also die „Braut des Jahres“. Nach ezidischer Mythologie ist es den Engeln vorbehalten, im April zu heiraten. Deswegen ist es den Eziden untersagt, in diesem Zeitraum Hochzeiten zu
feiern.
Die Tradition des Eierbemalens stammt noch aus der babylonischen Zeit und unterstreicht die alten, vorchristlichen Wurzeln des
Ezidentums. Das Ei hat dabei eine besondere Bedeutung in der ezidischen Lehre. Nach der ezidischen Kosmogonie hat Gott die Welt in der „embryonischen“ Form einer weißen, makellosen Perle
erschaffen, die Ähnlichkeiten mit dem Ei hat. Gott lässt die weiße Perle, die den geistigen Urzustand symbolisiert, zerplatzen und formt aus ihren Trümmern die Bestandteile der Welt. Das Ei
symbolisiert die Materie, aus der alles Irdische erschaffen ist. Es versinnbildlicht den mit der irdischen Schöpfung einhergehenden Beginn des Lebens. Die Schalen dieser Eier verteilen die Eziden
noch heute in der Heimat auf ihren Ackerflächen in der Hoffnung, eine ertragreiche Ernte zu erzielen.
© GEA, 2017